Propagandagespräche: Politik der Scham

Propagandagespräche von Boris Nikitin mit Didier Eribon (Soziologe) in  englischer Sprache.

It’s the real thing. Basler Dokumentartage 19.
Rossstall 1, Eintritt frei.

Scham wird meist als ein unangenehmes, individuelles Gefühl verstanden. Sie lässt die Menschen sich als minderwertig und ohnmächtig empfinden. Wer sich schämt, fühlt sich entwertet, klein und allein. So besteht das Leben vieler Menschen in einem nicht unwesentlichen Anteil darin, diesem ungeliebten Gefühl auszuweichen.
Didier Eribon, einer der bekanntesten französischen Soziologen unserer Zeit, deutet die Scham um und öffnet sie für einen emanzipatorischen Diskurs. In seinen Büchern «Gesellschaft des Urteils» und «Rückkehr nach Reims», die schon jetzt als Klassiker der Soziologie bezeichnet werden können und die durch eine besondere Verbindung aus Theorie und autobiografischer Prosa hervorstechen, wird Scham verstehbar als ein Produkt der Verteilung und Zuordnung von Macht und Ohnmacht. Eribon verschiebt die Scham in den Bereich des Politischen, macht sie sichtbar als eine Konsequenz sozialer Unterscheidung.

Im Gespräch mit Boris Nikitin taucht Eribon in die eigene Biografie ein und erläutert anhand der jüngsten Geschichte, wie die Scham und ihr Gegenstück, der Zorn, zum Rohstoff politischer Mobilisierung werden können – sei es als individuelle Emanzipation oder als kollektives Aufbäumen.
Das Gespräch mit Didier Eribon ist der siebte Teil der Propaganda-Gesprächsreihe von Boris Nikitin.

Mit der Gesprächsreihe Macht und Verwundbarkeit setzt Boris Nikitin seine langjährige Auseinandersetzung mit dem Realen und dessen Imitationen fort. Er widmet sich der Frage, wie wir in die Realität einwirken, indem wir uns exponieren, dokumentieren und propagieren und benutzt dabei die einfachst-mögliche Form: die des Gesprächs. Mit jeweils einem Gast taucht Boris Nikitin ein in die experimentellen Grauzonen des Öffentlichen, in denen Realitäten immer wieder neu getestet und erfunden werden. Wie in dem Festival It’s The Real Thing und seinen Stücken geht er auch hier der Frage nach, wie Menschen Realitäten schaffen, indem sie sich veröffentlichen und dabei im Gleichzug in ihr Selbstbild eingreifen und es verändern. Das Paradigma hierfür ist für Nikitin das Coming-out, das Nikitin  als «eine Schnittstelle zwischen dem Faktischen und dem Fiktiven» und als einen «Akt der Selbstdokumentation mit Wirkungskraft» bezeichnet.

Der Regisseur und Autor Boris Nikitin, in Basel geboren und Sohn ukrainisch-slowakisch-französisch-jüdischer Einwanderer, inszeniert in der internationalen freien Szene und an deutschsprachigen Stadttheatern. Er ist Initiator und Leiter des Festivals It’s The Real Thing- Basler Dokumentartage, das im April 2019 zum vierten mal stattfinden wird. Nikitins Theaterarbeiten und Festivals setzen sich, nicht zuletzt aufgrund seiner Herkunft, mit der Darstellung und Herstellung von Identität und Realität auseinander. Die Stücke und Texte suchen dabei stets den Grenzgang zwischen Illusionstheater und Performance, Dokumentarischem und Propaganda. Seine jüngsten Arbeiten waren zuletzt neben Basel, Zürich und Lausanne ua. in Moskau, St. Petersburg, Sao Paulo, Amsterdam, Madrid, Paris, Athen, Berlin, München, Frankfurt und Kapstadt zu sehen. Über seine letzte Arbeit Hamlet schrieb die Fachzeitschrift Theater der Zeit: «Hamlet hebt die Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit im zeitgenössischen Performancetheater auf eine neue Stufe.» Und der Tagesanzeiger schrieb: «Denn über all dem schwebt auch die Frage, was Theater heute eigentlich noch sein kann und soll. Es ist ein konstruktiv-provokativer, grossartiger Abend, der einen elektrisierenden Sog entwickelt». Für sein bisheriges Werk wurde Nikitin 2017 mit dem J.M.R. Lenz – Dramatikpreis der Stadt Jena ausgezeichnet. Nikolaus Müller-Schöll, Professor für Theaterwissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt schreibt in seiner Laudatio: «Es sind die verborgenen Möglichkeiten, um derentwillen Nikitin seine Versuchsanordnungen aufbaut. Sein Theater lädt uns ein, im Bestehenden über das Bestehende wie seine Negation hinaus über das nachzudenken, was kommen mag.

Datum

12. Apr 2019
Abgelaufen!

Uhrzeit

18:00

Veranstalter

Kaserne Basel
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